Die charismatische Pfarrerin der evangelischen Stadtkirche
Ines Knoll hat mich in ihrem kurzen Fernsehauftritt wieder auf die Vielschichtigkeit von Bert Brecht aufmerksam gemacht. Sie hat in ihrer Sendung folgendes Gedicht vorgelesen
Vergnügungen
Der erste Blick aus dem Fenster am Morgen
Das wiedergefundene alte Buch
Begeisterte Gesichter
Schnee, der Wechsel der Jahreszeiten
Die Zeitung
Der Hund
Die Dialektik
Duschen, Schwimmen
Alte Musik
Bequeme Schuhe
Begreifen
Neue Musik
Schreiben, Pflanzen
Reisen
Singen
Freundlich sein.
(1954)
Ich finde das ja in erster Linie eine wunderbare Sammlung der schönen, feinen, kleinen Dinge des Lebens - die man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen kann. Frau Knoll hat sich aber in erster Linie in ihren Ausführungen auf das freundlich sein bezogen, und hat herausgearbeitet, inwiefern dieses Freundlichsein des Marxisten Brecht auch eine christliche Werthaltung und Lebensicht (auch als Vergnügung) darstellt.
Dieses "Freundlich sein" kommt ja bei Brecht in einem anderen Zusammenhang meiner Meinung nach noch viel christlicher daher.
Auszug aus. An die Nachgeborenen
Dabei wissen wir doch:
Auch der Hass gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.
(1939)
Ja ich weiss, viel zitiert aber diese Passage hat für mich wahre Größe und erinnert mich an viele Erlebnisse aus meiner Politikvergangenheit, wo der Umgang miteinander in keinster Weise mehr den eigenen politischen Forderungen entsprach. Und gerade marxistische Gruppen sind da oft besonders anfällig, und sehen vor lauter Schaum im Mund nicht in was sie sich verwandeln.
Ich bin nicht gläubig und schon gar keine Christin; aber bestimmte Grundwerte - die sicher einen christlichen Ursprung haben helfen schon sehr beim Mensch bleiben. Und Brecht hat diese Schwierigkeit sich gegen das Unrecht einzusetzen, und dabei selber nicht so zu werden wie die, gegen die man sich einsetzt, sehr gut in Worte gefangen.